:: „Die Welt hat so viele Facetten, und wenn man immer nur vor seiner eigenen Tür bleibt, dann wird man sich schnell langweilen.“
In den 1990er Jahren kam ein Franzose aus Nantes in das ihm wenig bekannte Hamburg. Die norddeutsche Stadt gefiel ihm so gut, dass er gleich einen neuen Musikstil erfand, den „French Chillout“. Was sich dahinter verbirgt, wer ihn inspiriert hat und warum die Verbindung von Kulturen etwas ganz Selbstverständliches ist, darüber spra-chen wir mit dem Multitalent Raphaël Marionneau. Das farbenfrohe Restaurant „Le Marrakech“ erschien uns an diesem Oktobertag dafür genau der richtige Ort zu sein.
Fotos: Holger MartensWarum bist Du 1993 aus dem sonnigen Frankreich ins nasskalte Hamburg gekommen?
1990 habe ich im Sommerurlaub in Frankreich eine Frau kennen gelernt, und aus dieser Sommergeschichte wurde dann Liebe. Nach drei Jahren regelmäßiger Besuche und geschriebener Briefe musste eine Entscheidung her. Ich habe mich dann dafür entschieden, nach Hamburg zu kommen. Ich kannte die Stadt schon ein bisschen und fand, dass sie in Flair und Stimmung Ähnlichkeiten mit Nantes hatte. Außerdem war natürlich der Hafen ein sehr schöner und magischer Pluspunkt.
Du lebst bis heute in dieser Stadt. War das damals schon geplant?
Nein, das war so nicht geplant. Ursprünglich sollten es ein oder zwei Jahre werden. Ich habe aber relativ schnell gemerkt, dass ich Heimweh bekommen würde, wenn ich Hamburg verlassen sollte.
Heute kennen Dich also mehr Menschen in Hamburg als in Nantes?
Ja, das kann man so sagen. Ich fühle mich mittlerweile in Hamburg mehr zuhause als in Nantes. Ich habe hier gearbeitet und 17 Jahre gelebt, ich fühle mich eigentlich genauso wie die Hamburger auch. Wenn man mich fragen würde, ob ich Botschafter dieser Stadt sein möchte - ich würde sofort ja sagen.
Mitgebracht hast Du unter anderem einen ganz neuen Musikstil namens „French Chillout“ und das Konzept „le café abstrait“. Wie haben die norddeutschen Musikliebhaber anfangs darauf reagiert?
„le café abstrait“ war der Name des ersten Events, das ich hier organisiert habe. Ich war seit 1995 als Designer beim „Mojo Club“ beschäftigt und habe das gesamte Corporate Design des Clubs gestaltet. Für Chillout-Musik hatte ich mich immer schon interessiert, allerdings war sie hier kaum zu finden. In dieser Zeit war auch das „Café del Mar“ aus Ibiza sehr erfolgreich. Ich wollte meine Musik unbedingt teilen und habe gespürt, dass sich viele Leute dafür interessieren könnten. So habe ich die Betreiber des „Mojo Club“ einfach gefragt, ob man in der Woche nicht so ein Event machen könnte.
Du hast das Geschehen einfach von der Tanzfläche auf die Sofas verlagert?
Genau so war es. Die Besucher saßen auf dem Sofa anstatt zu tanzen, haben etwas getrunken und die elektronische Musik genossen. Am Anfang hatten wir vielleicht 50 faszinierte Besucher, ich war total unbekannt und habe die Flyer im Schanzenviertel und auf der Reeperbahn noch selbst verteilt. Auch die Presse hat sich sehr stark für uns interessiert, und nach ungefähr einem Jahr war das „café abstrait“ angesagt und ein voller Erfolg. Parallel waren elektronische Musik allgemein, Techno oder Drum`n´Bass stark auf dem Vormarsch.
Was war dabei Dein Markenzeichen?
Ich habe ein sehr breites Musikspektrum und viele verschiedene Einflüsse gemixt: elektronische Musik, ethnische Musik, Ambient, Chillout aus England und Ibiza, Jazz, orientalische Klänge. Daraus habe ich dann meine Musik gemacht, den „French Chillout“. In dieser Zusammenstellung hatte es das bis dahin nicht gegeben.
Du machst das mittlerweile seit fast 20 Jahren. Ist die Verbindung von Kulturen etwas ganz Selbstverständliches?
Absolut ja. Die Welt hat so viele Facetten, und wenn man immer nur vor seiner eigenen Tür bleibt, dann wird man sich schnell langweilen. Was gibt es schöneres, als eine bisher unbekannte Musik zu entdecken und in dein Leben einzubauen? Das ist so in der Musik, und das trifft auf das ganze Leben zu. Als ich nach Hamburg kam, habe ich sofort begonnnen, die neue Sprache zu lernen, habe mich mit vielen deutschen Freuden und nicht nur mit Landsleuten getroffen und mich für die neue Lebensart interessiert. Ich habe meine Herkunft und Nationalität behalten und mich trotzdem in dieses Land integriert.
In den 1990er Jahren entstand unter anderem in Berlin eine legendäre Clubkultur, aus der viele bekannte DJ´s und Locations hervorgegangen sind. Ist Deutschland generell ein guter Ort für DJ´s?
Das ist so. Hier gibt es ein sehr gutes Klima für Kultur und musikalische Experimente, was vielleicht mit neuen Freiheiten nach dem Zweiten Weltkrieg zu tun hat. Stilistisch unterschiedliche Clubszenen haben sich z.B. in Frankfurt, Berlin und Hamburg entwickelt, und in den 1980er Jahren sind viele musikalische Impulse von den Clubs der Schwulenszene ausgegangen. Dort waren immer die besten und verrücktesten Parties. Wenn man sich heute umschaut, dann sind extrem viele DJ´s aus Deutschland weltweit erfolgreich.
Welche Bedeutung verbirgt sich hinter dem Namen „abstrait“?
Es ist immer schwierig einen guten Namen zu finden, der deine Idee an das Publikum kommuniziert. Es ging nicht um einen Club, es ging eher um ein Café, in dem man entspannen kann. Allerdings war es ja auch kein richtiges Café, sondern eher ein abstraktes Café ab 22:00 Uhr mit Clubatmosphäre. Also habe ich gesagt, dann ist es das „café abstrait“. Zu dem Namen „abstrait“ gehören auch meine anderen Veranstaltungen, die ich parallel zum „Mojo Club“ ab 1999 entwickelt habe: „le classique abstrait“ und „le voyage abstrait“ im Hamburger Planetarium.
Welches ist der größte Unterschied zwischen Klassischer Musik und elektronischer Clubmusik?
Es gibt ein tolles Zitat von Rachmaninow: „Die Zeit mag die Techniken von Musik ändern, aber sie kann nie ihre Mission ändern.“ Die Zeit ändert sich ebenso wie der Musikgeschmack, und man reagiert auf Melodien anders. Ich glaube die Arbeit der Komponisten damals und der DJ´s heute ist nicht viel anders. Es geht um die Suche nach eine perfekten Harmonie und nach Emotionen. Die Verbindung von Klängen und Gefühlen ist eine typisch menschliche und dabei sehr intelligente Eigenschaft.
Hast Du Deine Musik schon mal in einer Kirche gespielt?
Nein, aber wir arbeiten daran. Es gibt Gespräche für ein mögliches Event in einer Hamburger Kirche. Allerdings muss man dabei beachten, dass Kirchen von der Akustik her ursprünglich nicht für elektronische Musik gemacht wurden.
Was hat Dich in den Kühlungsborner Yachthafen und das „Vielmeer“ verschlagen?
Das hat sich über einen persönlichen Kontakt ergeben. Die Crew des „Vielmeer“ war zu Besuch in Hamburg und hat mich dann auf einem Event im „Messmer Momentum“ entdeckt. Es gefiel ihnen, und dann kam das Angebot in Kühlungsborn etwas zu machen. Es sollte eine etwas kleinere und intime Veranstaltung werden, und genau das war ein starker Reiz für mich.
Hast Du dort am Meer unter freiem Himmel aufgelegt?
Ja, direkt auf der Promenade vor dem Restaurant. Das war eine tolle Atmosphäre, denn viele Leute, die dort vorbeigekommen sind, waren sehr interessiert und neugierig und sind dann für zwei Stunden geblieben. Das gab eine sehr große Harmonie mit dem Publikum. Im nächsten Sommer geht es mit dem „Vielmeer abstrait“ weiter.
Bist Du ein sehr gut organisierter Mensch, um Musiker, DJ, Plattenlabelbesitzer, Radiomacher, Art Director und Veranstalter sein zu können?
Einerseits bin ich sehr dickköpfig und kämpfe leidenschaftlich für die Umsetzung meiner Ideen. Andererseits habe ich als DJ noch keine technische Perfektion erreicht, ich könnte das ein bisschen mehr trainieren. Vielleicht hätte man auch mehr im Marketing und Business tun können. Der Vorteil ist allerdings, dass ich nicht zu kommerziell geworden bin und immer noch viel Substanz habe. Ich würde in Zukunft sehr gerne mehr Musik selbst produzieren. Dafür muss ich allerdings für ein paar Monate ins Studio abtauchen.
Ist Dein ehemaliger Chef, der bekannte Werbegestalter Peter Schmidt, auch ein Chillout-Fan?
Wir haben schon über das Thema gesprochen, denn in der Zeit, als ich beim ihm als Grafik-designer gearbeitet habe, bekam ich eine offizielle Genehmigung für meinen „Zweitjob“ Musik. Er hat mich immer dabei immer unterstützt, und er besitzt auch einige meiner CD´s.
Deine Musik klingt oft wie eine Hommage an den Sommer. Was tust Du im Winter, um in den Sommer zu reisen?
Wenn ich im Winter auflege, dann ist die Musik etwas melancholischer. Sie klingt ein bisschen klassischer, utopischer, strahlt vielleicht mehr Sehnsucht aus. Momentan habe ich keine konkreten Pläne, aber irgendwann werde ich auch noch mal die Koffer packen und für ein paar Monate auf Reisen gehen, um die anderen Teile der Welt kennen zu lernen.
Wir danken Dir für das Gespräch.
Interview: Ricky Laatz